„Fortschritt kann töten“: Bericht verurteilt Verbrechen im Namen von „Fortschritt“
9 Dezember 2015
Diese Seite wurde 2015 erstellt und enthält möglicherweise Formulierungen, die wir heute nicht mehr verwenden würden.
Am 09. Dezember 1948 beschlossen die Vereinten Nationen die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes. Das Abkommen, das bisher von 146 Staaten ratifiziert wurde, definiert Völkermord erstmalig als Straftatbestand und verpflichtet die Unterzeichnenden, Völkermord zu verhüten sowie völkermörderische Aktivitäten zu bestrafen.
Doch auch heute noch – 67 Jahre nach dem Beschluss der UN-Generalversammlung – setzen industrialisierte Gesellschaften indigene Völker Rassismus, Sklaverei und Völkermord aus. Diese Verbrechen werden zumeist im Namen von „Fortschritt“ und „Entwicklung“ verübt, mit dem eigentlichen Ziel, indigenen Völkern ihr Land, ihre Ressourcen und ihre Arbeitskraft zu rauben.
Aus diesem Anlass stellt Survival International, die globale Bewegung für die Rechte indigener Völker, heute die deutsche Erstausgabe des Berichtes „Fortschritt kann töten“ vor. Dieser zeigt die fatalen Konsequenzen auf, die Vertreibung, Umsiedlung und erzwungene Anpassung für indigene Völker mit sich bringen.
Haben Indigene hingegen die Möglichkeit, ihre eigenen Lebensweisen weiterzuführen, leben sie zumeist gesund und eigenständig auf ihrem angestammten Land. So beschreiben Gesundheitsexpert*innen die Ernährung der Jarawa auf den indischen Andamanen-Inseln als „Optimum“. Werden indigene Völker jedoch dazu gezwungen, sich an die Mehrheitsgesellschaft anzupassen, hat das schwerwiegende Folgen.
So haben indigene Gemeinden, die von ihrem angestammten Land vertrieben wurden, eine geringere Lebenserwartung als jene, die weiterhin eigenständig darauf leben können. Fortschritt – vom Straßenbau bis hin zu Umsiedlung – bringt außerdem Prostitution, sexuellen Missbrauch und Krankheiten mit sich. So waren 2002 mehr als 40 % der Todesfälle unter den Buschleuten in einem Umsiedlungslager in Botswana auf AIDS zurückzuführen. Bevor die Buschleute von ihrem angestammten Land vertrieben wurden, war ihnen diese Krankheit gänzlich unbekannt.
Da die Angehörigen indigener Völker oft in Gebiete umgesiedelt werden, die zu klein sind, um sie alle zu ernähren, sind Hunger und der frühe Tod weit verbreitet. Das Trauma der Umsiedlung und die Aufgabe ihrer gewohnten Lebensweise bringen für indigene Völker zudem eine Perspektivlosigkeit mit sich, die wiederum die Abhängigkeit von Alkohol und anderen leicht erhältlichen Drogen wie Benzin und Klebstoff fördert. Einige Angehörige indigener Völker sehen im Selbstmord schließlich den letzten Ausweg – so liegt die Suizidrate der indigenen Guarani in Brasilien 34-mal über dem nationalen Durchschnitt.
Der Bericht, der Teil eines größeren internationalen Projektes ist, verfolgt dabei nicht die Absicht, die Errungenschaften der Wissenschaft abzustreiten oder Veränderungen abzulehnen – alle Gesellschaften unterliegen einem ständigen Wandel. „Fortschritt kann töten“ stellt vielmehr einen Appell an Regierungen und Unternehmen dar, indigenen Völkern ein selbstbestimmtes Leben zu garantieren – frei von aufgezwungener „Entwicklung“. Nur wenn die Landrechte indigener Völker anerkannt werden und sie selbst über ihre Zukunft bestimmen können, werden sie überleben.
So sagte Davi Kopenawa, Schamane und Sprecher der Yanomami in Brasilien:
„Es ist nicht so, dass die Yanomami keinen Fortschritt wollen oder andere Dinge, die weiße Menschen haben. Sie wollen aber selbst wählen können. Nicht Veränderungen aufgezwungen bekommen, ob sie wollen oder nicht.“
- Laden Sie hier den Bericht auf Deutsch herunter.