Die letzten Kawahiva
Die Kawahiva sind eine kleine Gruppe unkontaktierter Indigener, die im Regenwald des brasilianischen Amazonasgebiets leben. Sie haben zahlreiche Versuche des Völkermords überlebt. Ähnliche Gräueltaten haben im letzten Jahrhundert viele Völker in der Region ausgelöscht.
Heute leben die Kawahiva auf der Flucht vor der anhaltenden Invasion ihres Waldes durch Holzfäller*innen, Bergarbeiter*innen und Viehzüchter*innen.
Sie sind in großer Gefahr, ausgelöscht zu werden, wenn ihr Land von den brasilianischen Behörden nicht anerkannt und geschützt wird.
Ihr „Rio Pardo“ genanntes Gebiet liegt im Bundesstaat Mato Grosso, wo die offiziellen Raten der illegalen Abholzung im brasilianischen Amazonasgebiet am höchsten sind.
Rio Pardo liegt innerhalb der Gemeinde Colniza, einer der Gegenden Brasiliens mit den meisten Gewalttaten. 90 % der Einkünfte Colnizas gehen auf illegalen Holzeinschlag zurück.
Die Notlage der Kawahiva ist so ernst, dass ein Staatsanwalt 2005 zum ersten Mal in Brasilien Ermittlungen gegen den Völkermord an einem unkontaktierten Volk aufnahm. Insgesamt wurden 29 Menschen festgenommen – sie standen unter dem Verdacht, am Mord von Angehörigen der Kawahiva beteiligt gewesen zu sein. Darunter befanden sich ein ehemaliger Ministerpräsident und ein hochrangiger Polizeibeamter. Sie wurden später jedoch freigelassen und der Fall wurde aus Mangel an Beweisen ausgesetzt.
Wer sind die Kawahiva
Die Kavahiva sind nomadisch lebende Jäger*innen und Sammler*innen.
Darüber hinaus ist sehr wenig über sie bekannt, da sie keinen friedlichen Kontakt zu Außenstehenden pflegen. Sie dürften eng mit dem in der Nähe lebenden Volk der Piripkura verwandt sein, denn sie sprechen eine ähnliche Sprache, schneiden ihr Haar auf dieselbe Weise und benutzen die gleiche Art von Pfeilspitzen für die Fischjagd.
Benachbarte Völker nennen sie „Rotkopfmenschen“ und „kleine Menschen“.
Die Kawahiva des Rio Pardo sind Teil einer größeren Gruppe, die sich mit dem Eindringen Außenstehender nach und nach aufgeteilt hat. Wahrscheinlich wurden viele von Außenstehenden, die es auf ihr Land und ihre Ressourcen abgesehen hatten, ermordet, oder kamen durch Krankheiten wie Grippe und Masern, gegen die sie keine Abwehrkräfte haben, ums Leben.
Eine der Gruppen der Kawahiva wird seit 17 Jahren von Brasiliens Behörde für die Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen mit Bezug zu indigenen Völkern (FUNAI) beobachtet. 2011 wurden sie von einem Außendienstmitarbeiter gefilmt – die Erwachsenen und Kinder schienen gesund zu sein.
Eventuell verstecken sich weitere Gruppen unkontaktierter Kawahiva im Wald.
Lebensweise
Wie alle indigenen Völker mussten die Kawahiva ihre Sozialstruktur infolge der Gewalt und der Zerstörung ihres Waldes radikal umorganisieren und sich an eine sich verändernde Umwelt anpassen.
Alte Lichtungen im Wald legen nahe, dass sie vor einigen Generationen wahrscheinlich Mais und Maniok anbauten und ein sesshafteres Leben führten.
In den letzten 30 Jahren waren sie dazu gezwungen, in Phasen des Angriffs und der Invasion zu fliehen. Wahrscheinlich wurden sie zu Nomad*innen, um zu überleben. Der letzte Garten in ihrem Gebiet wurde gefunden, als vor über 30 Jahren eine neue Landstraße durch ihr Areal gebaut wurde.
Heute sind die Kawahiva gezwungen, einen nomadischen Lebensstil zu führen. Sie errichten vorübergehende Lager, in denen sie für einige Tage bleiben, bevor sie weiterziehen, um Eindringlingen zu entgehen.
Sie jagen Wildtiere wie Nabelschweine, Affen und Vögel und fischen in den Gewässern ihres Territoriums. Im Wald sammeln sie Früchte, Nüsse und Beeren.
Außendienstmitarbeitende von FUNAI, die das Gebiet des Rio Pardo beobachten, haben zahlreiche Gegenstände und Werkzeuge gefunden, die einen Einblick in den Alltag der Kawahiva gewähren.
Bögen, Pfeile und Essensreste bestätigen die große Bedeutung der Jagd wilder Tiere. In einem Lager waren große Mengen an Paranüssen in der Erde vergraben.
Wahrscheinlich halten die Kawahiva Haustiere, denn es wurden Federn und kleine Käfige für Sittiche gefunden.
Die Kawahiva bauen komplexe Baumleitern, um Honig aus Bienenstöcken zu sammeln. Sie benutzen Fallen, um Fische aus den Flüssen in der Nähe ihrer Lager zu fangen.
Eine ungewöhnliche Entdeckung sind die Lager umgebende, aus Palmblättern gefertigten Zäune. Sie könnten dazu dienen, wilde Tiere oder Angriffe von Außenstehenden abzuhalten.
Bedrohungen
Den Kawahiva stehen mächtige regionale Kräfte gegenüber. Das Rio-Pardo-Gebiet ist für Holzfäller*innen, Viehzüchter*innen, Bodenspekulant*innen und Bergarbeiter*innen attraktiv, die wiederholt die von FUNAI erwirkten, vorübergehenden Schutzanordnungen herausfordern.
2005 gelang es Holzfäller*innen und lokalen Politiker*innen, einen Richter davon zu überzeugen, eine das Gebiet schützende Anordnung zu kippen. Survival setzte sich erfolgreich dafür ein, dass sie wieder eingesetzt wurde.
Einige Holzfäller*innen gingen so weit, eine einstweilige Verfügung einzureichen, die die Existenz der Kawahiva infrage stellte. Ein örtlicher Beamter und Gegner indigener Völker behauptete, FUNAI habe das Volk „eingesetzt“.
Außendienstmitarbeitende von FUNAI wurden von einem Holzunternehmen bedroht und daran gehindert, das Gebiet zu schützen. Ihre Mitarbeitenden versuchten die Kawahiva zu terrorisieren, indem sie in niedriger Flughöhe mit Flugzeugen über ihren Wald flogen und Pfade, Straßen und Lichtungen anlegten.
FUNAI hat in 70 Metern Entfernung eines der Lager der Kawahiva Holzfäller*innenpfade entdeckt. Dies legt die Befürchtung nahe, dass die Indigenen an einer Epidemie der durch die Holzfäller*innen eingeschleppten Krankheiten sterben könnten.
Für das Überleben der Kawahiva ist es entscheidend, dass das Rio-Pardo-Gebiet offiziell abgegrenzt, vom brasilianischen Präsidenten bestätigt und somit dauerhaft als ihr Land anerkannt wird.
Handlungsbedarf
Die Kawahiva stehen kurz davor, für immer ausgelöscht zu werden. Der Völkermord an ihnen wird endgültig sein, wenn ihre Landrechte nicht aufrechterhalten werden.
Wenn sie überleben sollen, muss ihr Territorium Rio Pardo demarkiert und dringend geschützt werden.
Die Verordnung, die die Abgrenzung des Rio Pardo genehmigt, liegt seit 2013 auf dem Schreibtisch des Justizministers. Bislang ist aufgrund des abgestimmten Widerstands derer, die das Gebiet weiterhin plündern wollen, jedoch nichts passiert.
Unterdessen steigt die Zahl illegaler Eingriffe dramatisch an. 4.319 Hektar Wald wurden zwischen 2000 und 2011 zerstört. Die Kawahiva sind im Kampf um ihr Überleben eingekreist.