Der „Festungsnaturschutz“ vertreibt uns aus unserer Heimat

von Pranab Doley, ein indigener Aktivist und Angehöriger der Mising, Indien

Naturschutz-Programme sind darin verwickelt, einen unberührten Raum zu garantieren, in dem Tourismus und Extraktivismus gedeihen können. Kaziranga-Nationalpark © Wikimedia Commons 

Ich komme aus Kaziranga, einer fruchtbaren Gegend in Assam, Indien, die an vier großen Flüssen liegt, darunter der Brahmaputra, der durch Tibet, Indien und Bangladesch fließt. Hier befindet sich auch der Kaziranga-Nationalpark. Der im Jahr 1905 gegründete Park ist berühmt für das große indische Panzernashorn und beherbergt dessen weltweit größte Population. Er gilt auch als eines der erfolgreicheren Ansätze zum Schutz der Nashörner, da ihre Anzahl von 50 Tieren während britischen Kolonialzeit auf heutzutage etwa 2000 Tiere angewachsen ist.

Kaziranga ist außerdem ein von der UNESCO anerkanntes Weltnaturerbe und wird von der IUCN (International Union for the Conservation of Nature) als globaler Hotspot der biologischen Vielfalt betitelt. Die große biologische Vielfalt ist auf die lokalen und indigenen Gemeinschaften zurückzuführen, die hier seit Jahrhunderten leben – auf unsere Lebensweise, unser Glaubenssystem und unsere Beziehung zum Wald. Die Naturschützer*innen sehen die Natur als etwas vom Menschen Getrenntes, aber wir sehen die Natur als ein Ganzes, das uns und alles um uns herum am Leben erhält. Wir verehren die Natur – die Tiere des Waldes, die Bäche und die Bäume.

All das ist jedoch durch eine zunehmend militarisierte Form des Naturschutzes bedroht. Diese wird vom indischen Forstministerium in einem feudalen, kolonialen Rahmen gefördert und von großen internationalen und nationalen NGOs unterstützt. Dazu kommt eine fehlerhafte und ausbeuterische Idee: der Plan, 30 Prozent der Erdoberfläche bis 2030 in „Schutzgebiete“ zu verwandeln (30x30). Diese Idee, die von der IUCN vorangetrieben wird, wurde beschönigt, als Mittel zum Erhalt der Biodiversität dargestellt und der Weltöffentlichkeit zusammen mit „naturbasierten Lösungen“ (NbS) als Mittel zur Lösung des Klimawandels verkauft. 

„Die Naturschützer*innen sehen die Natur als etwas vom Menschen Getrenntes, wir aber sehen die Natur als ein Ganzes, das uns und alles um uns herum erhält. Wir verehren die Natur – die Tiere des Waldes, die Bäche und die Bäume.“

Im September nahm ich an der Konferenz „Our Land, Our Nature“ teil, einem alternativen Kongress, der von Survival International und anderen Organisationen in Marseille (Frankreich) als Gegenveranstaltung zur IUCN-Konferenz organisiert wurde. Bevor ich sprach, ging ich die Liste der Teilnehmer*innen der IUCN-Konferenz durch, und es gab niemanden, der wirklich den Schmerz und die Trauer der Menschen vertrat, die durch die Folgen des Festungsnaturschutzes betroffen sind – nur Banker*innen, einflussreiche Bürokrat*innen und NGOs wie der WWF, die ebenso an der Militarisierung des Naturschutzes in Indien beteiligt sind. 

Immer mehr Naturschutzprojekte verfolgen das Modell des „Festungsnaturschutzes“, einen strengen und militarisierten Ansatz, der die Menschen von der Natur trennt. Diese Projekte werden von wenigen Mächtigen gesteuert und erschweren das alltägliche Leben der Gemeinden, die in den Wäldern um Kaziranga und in anderen naturreichen Gebieten in Indien und Afrika leben. Blaise Mudodosi Muhigwa, ein Rechtsanwalt und Umweltjurist aus der Demokratischen Republik Kongo, der ebenfalls auf dem alternativen Kongress „Our Land, Our Nature“ sprach, beschrieb, wie in seiner Heimat der „Festungsnaturschutz“ keinerlei positiven Ergebnisse, sondern in erster Linie negative Auswirkungen und Menschenrechtsverletzungen hervorbrachte.

Zurück in Indien: 2010 änderte die Regierung von Assam die Strafprozessordnung des Bundesstaates und gab den Wildtierbehörden die Befugnis, straffrei von Waffen Gebrauch zu machen. Die Parkranger erhielten grünes Licht, um bei Sichtkontakt zu schießen, wodurch es bis 2015/16 zu mehreren gewalttätigen Zusammenstößen zwischen indigenen Völkern und Rangern kam, für die niemand zur Rechenschaft gezogen wurde. Es wurden keine rechtlichen Verfahren eingeleitet oder Fragen über Menschenrechtsverstöße aufgeworfen. Im Jahr 2015 wurde schließlich der siebenjährige Akash Orang, ein Angehöriger der Oraon, schwer verletzt, als er am helllichten Tag von einem Parkranger angeschossen wurde. Es gab einen riesigen öffentlichen Aufschrei, der gleichermaßen von Survival International und der BBC getragen wurde. Letztere veröffentlichte eine beeindruckende Dokumentation, die später von der indischen Regierung verboten wurde. Diejenigen von uns, die sich an dem Kampf gegen diese Missstände beteiligten, wurden an allen Fronten angegriffen. Wir wurden ins Gefängnis gesteckt, weil wir Fragen stellten und es wurden falsche Anklagen gegen uns erhoben. 

Dies sind die Auswirkungen der Militarisierung des Naturschutzes – sei es in Kaziranga, Nepal, Myanmar oder in Teilen Afrikas. Birendra Mahato, Forscher und Angehöriger der Tharu aus Nepal, hat berichtet, wie diese Militarisierung im Chitwan-Nationalpark zu Konflikten zwischen den Parkwächter*innen und den Menschen geführt hat. Im Jahr 2020 wurde Raj Kumar Chepang, ein 24-jähriger Angehöriger der Chepang, von Soldat*innen zu Tode geprügelt, weil er im Park Schnecken gesammelt hatte.

Eine Angehörige der Mising, die Opfer von Zwangsräumungen und Gewalt geworden ist. © Survival 

„Der Wald und die Tierwelt überleben aufgrund der symbiotischen Beziehung, die viele lokale und indigene Gemeinschaften mit anderen Arten teilen.“

Der „Festungsnaturschutz“ nimmt den Gemeinschaften, die in der Nähe von Nationalparks leben, ihre Menschenrechte. In Kaziranga gibt es Ausgangssperren, die uns daran hindern, unsere Häuser nach 18 Uhr zu verlassen und Vorschriften, die es uns verbieten, Grundnahrungsmittel zu sammeln, auf die wir uns seit Hunderten von Jahren verlassen und die wir seit jeher kultiviert haben. Wir wurden von unserem Land vertrieben und unserer Rechte beraubt. Wir dürfen unser Vieh nicht mehr im Nationalpark weiden lassen, wodurch die Lebensgrundlage der lokalen und indigenen Gemeinschaften völlig zerstört wurde. Infolge dieser Strafmaßnahmen haben Hunderte von jungen Menschen aus Kaziranga verlassen – aus Angst, zu Unrecht inhaftiert zu werden und weil sie nicht in der Lage sind, sich selbst zu versorgen, . Auf dem alternativen Kongress erzählte Kipchumba Rotich, Angehöriger der Sengwer in Kenia, wie Menschen aus ihrer Gemeinschaft an Hunger starben und Kinder nicht mehr zur Schule gehen konnten, nachdem sie aus dem Embobut-Wald vertrieben worden waren. Ihre Dörfer wurden von der kenianischen Forstbehörde im Namen des „Naturschutzes“ dem Erdboden gleichgemacht. 

Worum geht es den Entscheidungsträger*innen, wenn sie den Naturschutz auf diese Weise angehen? Sie garantieren einen unberührten Raum, in dem der Tourismus florieren kann. Gleichzeitig ändern sie Gesetze und Verordnungen, um die Gewinnung von Öl und Gas sowie den Abbau von Kohle und Naturstein in Kaziranga und anderen Nationalparks zu ermöglichen.

Es sind die Menschen in Kaziranga (nicht die Behörden oder NGOs), die ihr Leben und ihre Ressourcen geopfert haben, um die Umwelt zu erhalten und sich um die lokale Flora und Fauna zu kümmern. 

Die indische Regierung behauptet, dass Wildtiere und Natur gedeihen werden, wenn sie die Gemeinden aus dem Wald umsiedeln, aber ich sehe, dass sie den Naturschutz benutzt, um kapitalistische Ausbeutung zu ermöglichen und es vermeidet, die lokalen Bewohner*innen an der tatsächlichen Erhaltung der Natur zu beteiligen.

„Der Festungsnaturschutz hat keinerlei positiven Ergebnisse, sondern brachte in erster Linie negative Auswirkungen und Menschenrechtsverletzungen hervor.“

Die Wälder und die Tierwelt überleben aufgrund der symbiotischen Beziehung, die viele lokale und indigene Gemeinschaften mit ihnen eingehen. Wenn wir Nutzpflanzen anbauen, tun wir dies in dem Wissen, dass wir diese auch mit den Wildtieren teilen werden und die lokalen Gemeinschaften opfern ihr Vieh, um sie zu ernähren. In Kaziranga rauben die Reichen und Mächtigen das Land, um ihren luxuriösen Lebensstil und ihre Geschäftsvorhaben voranzutreiben, einschließlich des aggressiven Anbaus von Palmöl, während die lokale Bevölkerung im Namen des Naturschutzes vertrieben wird. So viel zur Liebe zur Natur! 

Hunderte von Menschenrechtsverletzungen wurden in Kaziranga begangen, aber Organisationen, die in diesem Gebiet tätig sind, wie der WWF, die IUCN und Aaranyak, haben sich nicht dagegen ausgesprochen. Sie agieren weiterhin als undurchsichtige Einheit, die diese Verstöße begünstigt. Aus diesem Grund verurteilen wir die Naturschutzindustrie; sie bildet nicht die Gefühle, Bedürfnisse und den politischen Willen der lokalen und indigenen Gemeinschaften ab – Menschen, die eigentlich die Hüter*innen der natürlichen Welt sind und die die zentrale Stimme bei der Entwicklung jeglicher Naturschutzpolitik sein müssen. 

Es ist von entscheidender Bedeutung, den starken Widerstand gegen die falschen Lösungen zu vermitteln, die weiterhin von einer Industrie hervorgebracht werden, die versucht Gebiete zu re-kolonisieren, die indigenen Völkern, marginalisierten Gruppen und den ärmeren Ländern des globalen Südens gehören. Unser Kampf richtet sich gegen den kapitalistischen, rücksichtslosen Ansatz der Machthaber*innen, die alles zur Ware machen wollen – nicht nur die Natur, sondern auch die Menschen, die in ihr leben. 

 

Dieser Artikel wurde ursprünglich in "New Internationalist" vom 19.11.2021 veröffentlicht. Du findest das Original hier.

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