Die Vorstellungen vieler Menschen im deutschsprachigen Raum von indigenen Personen reichen weit zurück – weiter als Karl May und seine weltbekannten Winnetou-Romane.
Vor allem durch Reiseberichte, koloniale Erzählungen und Propaganda wurden jene Ideen verbreitet, die May im 19. Jahrhundert in seinen Figuren verarbeitete. Diese transportieren bis heute jahrhundertealten Rassismus in unsere Wohn- und Klassenzimmer.
Dass Mays Geschichten erfunden sind, ist längst bekannt. Doch ihre Bilder wirken bis heute nach. Sie lassen uns vergessen, welchen Misshandlungen indigene Völker ausgesetzt waren und sind: Kolonialismus, Völkermord, Landraub, Zwangssterilisierungen, Identitätsunterdrückung und erzwungene Kontaktaufnahme. Die verzerrten Darstellungen reduzieren das Leben indigener Menschen auf stereotype Abziehbilder – und sie legitimieren Menschenrechtsverletzungen.
Es ist Zeit, diese Klischees hinter uns zu lassen. Wir laden dich ein, unsere Broschüre „Escaping Winnetou” zu lesen – eine kleine Reise von der Geschichte zur Gegenwart, über indigene Perspektiven bis zu möglichen Veränderungen.
Bei „Escaping Winnetou“ geht es um mehr als nur um ein paar Bücher und Filme. Es geht um Anerkennung, um Macht und Gewalt, um Geschichte – und um unsere Verantwortung. Für dich, zum Weitergeben oder als Lesezeichen (kostenfrei). Schicke deine Bestellung mit Anschrift an [email protected] oder klicke hier, um eine E-Mail in deinem Mailprogramm zu öffnen.Lies die Broschüre
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Früher war Winnetou doch auch okay?
Die Stereotype, die sich in Karl Mays Figuren finden, waren auch früher schon rassistisch, entmenschlichend und kolonial. Nur die Kritik daran hatte weniger Reichweite. Indigene Menschen thematisieren diese Darstellungen seit jeher. Und auch Kritik, die sich speziell mit dem Bild indigener Menschen in der deutschsprachigen Öffentlichkeit befasst, gibt es schon seit Jahrzehnten.
Winnetou ist ein Held und hat das Bild indigener Völker positiv geprägt.
Leider nein. Dabei sind zwei Dinge besonders wichtig zu wissen. Erstens: In der Geschichte von Karl May ist nicht Winnetou, sondern der Deutsche Old Shatterhand der Held, der Winnetou (erfolglos) beschützen will. Außerdem wird Winnetou als „edler Wilder” dargestellt. Das ist kein positives Bild. Der „edle Wilde” ist typischerweise gewaltbereit, ursprünglich und unverdorben. Er ähnelt eher einem Tier als einem Menschen und im Angesicht der „Zivilisation" ist sein tragischer Untergang unvermeidlich.
Soll man nicht mehr „Indianer” sagen?
Das ist eine gute Frage, auf die es längere und kürzere Antworten gibt. Die lange Erklärung findest du in unserer Broschüre.
Und kurz gesagt: Die Bezeichnung ist nicht korrekt, sondern basiert auf einem Irrtum von Kolumbus. Sie ist Teil der Kolonialzeit und mit schrecklichen Verbrechen an indigenen Völkern verbunden. Sie wirft Hunderte verschiedene indigene Völker in einen Topf und ignoriert ihre Vielfalt, Geschichte und Selbstbezeichnungen. Im deutschsprachigen Raum sind mit dem Begriff auch falsche und rassistische Stereotype verknüpft, die viele Menschen sofort im Kopf haben, wenn sie das Wort hören.
Einige indigene Personen verwenden den Begriff für sich, und das sollte respektiert werden. Dies bedeutet allerdings nicht, dass weiße Menschen das Wort ebenso verwenden sollten. Stattdessen kannst du „indigene Person” oder „indigene Völker” bzw. Eigennamen wie „Yanomami” benutzen.
Solltet ihr euch nicht um wichtigere Probleme kümmern?
Die Verletzung der Rechte indigener Völker kann nur dann dauerhaft beendet werden, wenn sich die Wahrnehmung indigener Menschen grundlegend wandelt. Und zu dieser Wahrnehmung gehören eben auch Figuren wie Winnetou oder Yakari. Der Einsatz für die Rechte indigener Völker stößt heute weltweit an seine Grenzen, wenn wir uns nicht mit rassistischen und kolonialen Stereotypen auseinandersetzen.
Es gibt indigene Personen, die Karl-May-Festspiele toll finden und dort mitmachen.
Ja, das stimmt. Es wäre auch seltsam, wenn Millionen indigene Menschen die gleiche Meinung zu Karl-May-Festspielen oder Winnetou hätten.
Leider ändert das nichts daran, dass Mays Geschichten rassistische Stereotypen wie den des „edlen Wilden” am Leben erhalten. Rassismus verschwindet nicht deshalb, weil einige Menschen sagen, dass etwas nicht rassistisch sei.
Du kannst das mit ähnlichen Situationen wie der Diskriminierung von Frauen vergleichen. Es gibt viele Frauen, die diskriminierende Situationen oder Vorstellungen okay finden und selbst aktiv Teil davon sind. Dennoch bedeutet das nicht, dass es keine Diskriminierung von Frauen gibt.
Mein Kind interessiert sich für Indigene und will Federschmuck tragen.
Es ist schön, wenn sich Kinder und andere Personen für die Anliegen indigener Menschen interessieren. Aber um sich damit auseinanderzusetzen, muss man sich nicht verkleiden – ganz im Gegenteil. Denn solche Kostüme gehen mit vielen Problemen einher und erhalten Stereotype am Leben. Statt Wissen zu vermitteln, verfestigen sie Klischees aus Westernfilmen und Büchern.
Sprich mit deinem Kind darüber und erinnere dich, dass du schon andere komplexe Themen – woher kommen Babys, was ist Krieg, warum geht man in die Schule – gemeistert hast.
„Du hast auch eine Rolle als Elternteil zu sagen, was nicht okay ist (…) Du kannst auch Werte vermitteln, und die Kinder verstehen das. Die Kinder werden nicht so traurig sein, weil du erklärst, dass andere Menschen verletzt sind,” fasst es Llanquiray Painemal zusammen.
Ich finde es auch okay, wenn sich Leute in den USA mit Lederhosen verkleiden und Oktoberfest feiern.
Ja, klingt lustig. Aber der wichtigste Unterschied ist Macht. Deutschland war selbst Kolonialmacht. Viele indigene Völker wurden durch deutsche und andere europäische Kolonialmächte ausgelöscht oder haben sehr viel verloren. Auch heute noch profitieren z.B. europäische Konzerne, Regierungen oder Urlaubsreisende von der Ausbeutung und Vertreibung indigener Völker.
War Karl May jemals in Nordamerika?
Ja, Karl May reiste 1908 nach Nordamerika und besuchte dort die Ostküste der USA und Kanada. Die meisten seiner Winnetou-Geschichten (Winnetou I-III) hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits geschrieben. Sie basieren nicht auf echten Erlebnissen Mays, auch wenn er zu Lebzeiten behauptet hat, selbst Old Shatterhand zu sein.
Winnetou ist Fantasy. Warum hat das was mit echten indigenen Menschen zu tun?
Mays Figuren beeinflussen das Bild von indigenen Menschen noch heute. Denn auch wenn wir wissen, dass etwas „nicht echt“ ist, beeinflussen Bücher, Filme und Serien, welche Bilder wir im Kopf haben. Und weil diese Bilder rassistisch und kolonial sind, fügen sie echten indigenen Menschen und indigenen Völkern Schaden zu.
Wollt ihr Winnetou verbieten?
Nein, wir wollen und können keine Geschichten verbieten. Darum geht es auch nicht.
Unser Ziel ist es, die deutschsprachige Öffentlichkeit für die tatsächliche Vielfalt, Gegenwart und Komplexität indigener Völker weltweit zu sensibilisieren und somit rassistischen Stereotypen und kolonialem Denken entgegenzuwirken, die bis heute bestehen und weiterverbreitet werden.
Gerade wenn es um Menschenrechte, Darstellung und globale Gerechtigkeit geht, ist es wichtig, Fiktionen und Wirklichkeit klar voneinander zu trennen.
Aber ich bin kein*e Rassist*in.
Viele Menschen sind sich nicht bewusst, dass bestimmte Verhaltensweisen rassistische Strukturen widerspiegeln. Manche reagieren mit Unverständnis oder Abwehr, wenn sie darauf hingewiesen werden. Niemand will Rassist*in sein, aber rassistische Strukturen betreffen uns alle.
Wir alle sollten bereit sein, Kritik ernst zu nehmen, eigene Vorurteile zu hinterfragen und uns damit auseinanderzusetzen. Wenn jemand rassistisch behandelt wird, ist das schlimm. Noch schlimmer ist es, keine Verantwortung dafür zu übernehmen, sondern Kritik als Witz oder Missverständnis abzuweisen. Nach dem Motto: Wenn ich das nicht so gemeint habe, dann war es auch nicht so. Dabei wird gern übersehen, dass man nicht selbst definieren kann, was rassistisch ist oder was nicht.
Solltet ihr als weiße, nicht-indigene Organisation überhaupt etwas dazu sagen?
Wir denken ja, sonst gäbe es diese Kampagne nicht. Wir sehen sogar eine besondere Verantwortung darin, unsere eigene Gesellschaft kritisch zu hinterfragen – und sie zum Vorteil indigener Menschen zu verändern.
Nichts von dem, was wir mit „Escaping Winnetou” zusammengefasst haben, ist besonders neue oder radikale Kritik, die nicht schon viele – vor allem indigene Menschen – vor uns geäußert haben. Aber Survival ist eine Bewegung, die sich für die Rechte indigener Völker und gegen den Rassismus und die Gewalt einsetzt, die indigene Menschen zerstören. Deshalb wirkt sich dieses Thema direkt auf unsere Kampagnen aus. Wir halten es daher für wichtig und immer noch notwendig, unsere Plattform zu nutzen, um für ein menschenwürdiges Bild indigener Personen in der deutschsprachigen Öffentlichkeit einzutreten.
Ich will mehr über die Menschen erfahren, die ihr in eurer Broschüre erwähnt.
Super. Sie sind Menschen wie du und ich und mehr als nur „Winnetou-Fachleute”. Hier findest du mehr über Laura Arena, Red Haircrow, Julia von @wirmuesstenmalreden und Natives in Germany.