Ein kolonialer Landraub im Kongo ... heute
Von Fiore Longo, Survival-Mitarbeiterin
Hier bin ich also, in einem kolonialen Palast, umgeben von Menschen aus dem Westen, die sich hier versammelt haben, um afrikanisches Land zu zerstückeln. Die Agenten vor Ort bezahlen, welche mit Gewalt und Unterdrückung ihren Willen gegen indigene Völker durchsetzen. Sie verachten und schwächen, weil „sie es nicht besser wissen, sondern wir“.
Es war kalt, als ich in Brüssel ankam, aber im prächtigen Atrium des Königlichen Museums für Zentralafrika fühlte es sich überhaupt nicht kalt an. Dieses prächtige Gebäude war früher als Palast der Kolonien bekannt und wurde in den späten 1800er Jahren als Lobgesang auf die belgische „Zivilisierungsmission” im Kongo errichtet. Zu den Ausstellungen gehörte ein menschlicher Zoo, in dem drei „indigene Dörfer” auf dem Gelände des Palastes gebaut und von „importierten” Kongoles*innen bewohnt wurden. Diese waren angewiesen, zur Unterhaltung der Besucher*innen „indigen” zu wirken. Auch damals was es kalt in Brüssel, und da sie nur das trugen, was sie im Kongo getragen hatten, starben sieben der „Dorfbewohner*innen”.
Über hundert Jahre später kam ich zu diesem großen Denkmal gegen Rassismus und Unterdrückung, um an der achtzehnten Sitzung der Kongobecken-Waldpartnerschaft (CBFP) teilzunehmen. CBFP ist eine gemeinnützige Initiative zur Förderung des Schutzes und der verantwortungsvollen Bewirtschaftung der tropischen Wälder des Kongobeckens unter der Leitung der Vereinigten Staaten. Ich war schockiert – wenn auch leider nicht überrascht – zu sehen, wie wenige Afrikaner*innen an der Sitzung teilnahmen.
Bei diesen Treffen werden grundlegende Entscheidungen über die Wälder des Kongobeckens getroffen, die große Auswirkungen auf die dort lebenden Menschen haben. Aber warum haben all diese Weißen bei Treffen in Europa immer noch so einen Einfluss auf Land und Wälder in Afrika? In der Vergangenheit wurde dies durch die sogenannte „zivilisatorische Mission” der „überlegenen weißen Rasse” begründet. Es war schrecklich. Jetzt wird es mit „Naturschutz“ gerechtfertigt. Im Namen der „Naturschutzarbeit“ wurde Tausenden von Familien, indigenen Völkern und Gemeinschaften in Afrika und Asien ihr Land gestohlen; sie wurden in Not und Verzweiflung gestürzt. Angeblich – so wird behauptet – wissen die Einheimischen nicht, wie sie ihr eigenes Land verwalten und sich um seine Tierwelt kümmern solle. Also sollten sie es verlassen und es stattdessen „die echten Expert*innen” kontrollieren lassen.
Der Grund, warum Außenstehende so sehr daran interessiert sind, dieses Land in die Finger zu bekommen, ist, dass diese Gebiete sehr reich an biologischer Vielfalt sind. Obwohl indigene Gebiete nur 22 % der Weltfläche ausmachen, beheimaten sie 80 % der Biodiversität der Erde. Die Tatsache, dass bedrohte Arten auf ihrem Land noch überleben, aber anderswo ausgelöscht wurden, sollte für sich selbst sprechen: Die Wahrheit ist, dass indigene Völker die besten Naturschützer sind und ihre Umwelt besser verstehen als alle anderen.
Ich habe am CBFP-Treffen teilgenommen, weil der World Wildlife Fund (WWF) mit der kongolesischen Regierung zusammenarbeitet, um ein Schutzgebiet im Kongo – bekannt als Messok Dja – zu schaffen. Dieses Gebiet ist die Heimat der Baka, eines der „Pygmäenvölker” Zentralafrikas, die zum Überleben auf diese Wälder angewiesen sind. Obwohl der Park noch nicht errichtet ist, haben Ranger, die vom WWF finanziert und unterstützt werden, bereits den Besitz der Baka gestohlen, ihre Lager und Kleider verbrannt, sie geschlagen und gefoltert.
Survival International führt mit den Baka eine Kampagne gegen die Einrichtung des Schutzgebiets Messok Dja. Im Dezember 2018 veröffentlichte Survival Briefe, die von über hundert Menschen aus sechs Dörfern unterzeichnet wurden, und in denen sie ihre Einwände gegen das Messok-Dja-Projekt sowie den Missbrauch, den sie durch die vom WWF unterstützten Parkwächter erlitten haben, darlegten. Diese und viele andere Einwände wurden weitgehend ignoriert. Ich war hier in Brüssel, um den Stimmen der Baka Gehör zu verschaffen.
Ich wollte jemanden vom WWF persönlich danach fragen, von Angesicht zu Angesicht. Meine Frage war einfach: Warum treibt der WWF die Schaffung des Schutzgebiets Messok Dja trotz der Einwände der Baka voran?
Die Antwort eines der WWF-Vertreter auf der Konferenz war ausweichend: Treffen, Verhandlungen, Prozess, mehr Treffen. Ich habe vorgeschlagen, dass der WWF vielleicht zumindest im Interesse des Naturschutzes tatsächlich mit diesen Gemeinschaften sprechen sollte, weil sie besser als alle andere wissen, wie ihr Ökosystem funktioniert und wie man diesen Wald schützt. Seine Antwort war einfach: Nein, du liegst falsch, sie wissen es nicht besser.
Seine Meinung entsteht aus Vorurteilen, nicht aus Fakten. Die Baka und ihre Nachbarvölker leben seit Generationen als Jäger-und-Sammler, was bedeutet, dass ihr tägliches Überleben ganz von ihrem tiefen Verständnis für ihre Umwelt und der Fähigkeit, die Wildtierbestände gesund zu erhalten, abhängt. Die Baka spielen eine ebenso wichtige Rolle bei der Erhaltung des Ökosystems wie jede*r andere Spitzenprädator. Es ist zum Beispiel bekannt, dass Elefanten und andere große Säugetiere in diesen Wäldern Samen verbreiten, Pfade trampeln und andere Funktionen übernehmen, die das Wachstum und die Blüte anderer Arten erleichtern. Ebenso schaffen die Waldlager der Baka Lichtungen, die – gut gedüngt durch Asche und organisches Material – zu mehr Nahrung und besseren Lebensräumen für Gorillas führen.
Der WWF würde das Wissen der Baka jedoch nie öffentlich in Frage stellen, da Entscheidungsträger*innen nun zumindest so tun müssen, als würden sie indigene Völker respektieren. Das Völkerrecht besagt, dass die freie, vorherige und informierte Zustimmung (FPIC) der indigenen Bevölkerung eingeholt werden muss, bevor solche Projekte auf ihrem Land realisiert werden. Die Tatsache, dass die Baka nicht zustimmen, bedeutet, dass die Umgrenzung von Messok Dja durch den WWF nicht nur ungerecht, sondern tatsächlich illegal ist.
Im Falle von Messok Dja hat der WWF gelogen, „FPIC” von den Baka bekommen zu haben; stattdessen hat er viele warmklingende Worte formuliert, um den Landraub zu rechtfertigen. In einem aktuellen Artikel über Messok Dja steht:
„Lokale und indigene Gemeinschaften begrüßten nachdrücklich den Ansatz, bei dem sie vor der Schaffung des Schutzgebiets konsultiert wurden. Sie zeigten sich wirklich begeistert, den Konsultationsprozess bis zu den Befragungen fortzusetzen, wo sie Gelegenheit haben werden, ihren Standpunkt gegenüber Entscheidungsträger*innen und Manager*innen natürlicher Ressourcen darzulegen.”
Dies ist bestenfalls eine Beratung, keine Zustimmung. Zustimmung bedeutet, dass sie das Recht haben, „Nein” zu sagen und dass dieses „Nein” respektiert wird, aber das einzige, was Naturschützer*innen den Baka anscheinend gewähren, ist „die Möglichkeit, ihre Meinung gegenüber Entscheidungsträger*innen und Manager*innen zu äußern”; sie können ihre Einwände vorbringen, aber auf ihrem eigenen Land sind die Baka nicht die Entscheidungsträger*innen.
Der WWF hat nun endlich einen Prozess eingeleitet, den er als einen Prozess zur Sicherstellung der Zustimmung der Baka bezeichnet, der aber keinesfalls „frei”, „vorherig” oder „informiert” sein kann. Ungeachtet der Tatsache, dass Messok Dja noch nicht einmal offiziell ein Schutzgebiet ist, hat die schreckliche Brutalität der vom WWF unterstützten Parkwächter den Baka in der Region Terror gebracht. Solange indigene Gemeinschaften den WWF mit Gewalt und Unterdrückung assoziieren, ist eine „freie” Zustimmung unmöglich. Da Parkwächter in der Region bereits seit 10 Jahren im Einsatz sind, ist eine „vorherige” Zustimmung ebenso unmöglich.
Die Baka wurden auch vor Beginn nicht ausreichend über das Messok-Dja-Projekt informiert. Ein Angehöriger des Volkes sagte mir: „Der WWF hat nicht erklärt, warum sie hier sind oder was sie tun.” Der WWF arbeitet seit 2005 an diesem Projekt, begann aber erst Anfang 2019 mit der Konsultation der lokalen Gemeinschaften, zweifellos, als die Verlegenheit, die ihnen durch die Arbeit von Survival zugefügt wurde, zu groß wurde.
Hier bin ich also, in einem kolonialen Palast, umgeben von Menschen aus dem Westen, die sich hier versammelt haben, um Land in Afrika aufzuteilen. Und die Personen vor Ort bezahlen, welche mit Gewalt und Unterdrückung ihren Willen gegen indigene Völker durchsetzen. Und die sie verachten und schwächen, weil „sie es nicht besser wissen, sondern wir“. Was in diesem ehemaligen Palast der Kolonien geschieht, hat sich im letzten Jahrhundert nicht allzu sehr verändert, und die Baka wissen es. „Naturschutz ist eigentlich schlimmer als Kolonisierung”, sagte mir ein Mann, „es geht um Sklaverei.”
Die Originalversion dieses Artikels erschien am 24. Mai 2019 auf Commondreams. Übersetzung ins Deutsche durch Survival International.
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