In den Worten von Davi Yanomami

Davi Kopenawa übergab 2007 im Bundeskanzleramt einen an die Bundeskanzlerin adressierten Brief, in dem er die Unterzeichnung der ILO 169 forderte. © Pablo Levinas/Survival

Davi Kopenawa Yanomami ist ein Schamane vom Volk der Yanomami. Er ist das einzige Mitglied seines Volkes, das ein Buch geschrieben hat, „The Falling Sky“. Die Yanomami leben im Amazonasgebiet im größten bewaldeten indigenen Territorium unseres Planeten in Brasilien und Venezuela.

“Davi © Survival International


Die Entdeckung der weißen Menschen


Vor langer Zeit besuchten meine Großeltern, die an der Quelle des Toototobi-Flusses lebten, manchmal auch andere Yanomami, die sich entlang des Aracá-Flusses niedergelassen hatten. Dort trafen sie zum ersten Mal auf Weiße. Während dieser Besuche erhielten unsere Älteren zum ersten Mal Macheten. Dies erzählten sie mir oft, als ich noch ein Kind war.

Aber erst viel später als wir in Marakana nahe der Mündung des Toototobi-Flusses lebten, besuchten die Weißen zum ersten Mal unser Haus. Ich erinnere mich, dass dies zu der Zeit war, als unsere Älteren noch lebten und wir viele waren. Ich war zwar noch ein Junge, aber dennoch fing ich an, mir der Dinge bewusst zu werden. Als ich älter wurde, entdeckte auch ich die weißen Menschen. Ich hatte sie zuvor noch nie gesehen, ich wusste nichts von ihnen. Als ich sie sah, weinte ich. Ich hatte solche Angst vor ihnen.

Die Erwachsenen hatten sie schon ein paar Mal getroffen, aber ich nicht! Ich dachte, sie wären Geister von Kannibalen, die uns verschlingen würden. Ich fand sie sehr hässlich, blass und haarig. Sie waren so anders, dass sie mich erschreckten. Außerdem konnte ich kein einziges ihrer verstrickten Wörter verstehen. Es hörte sich an, als sprachen sie die Sprache eines Geistes.

Unseren Älteren sagten immer, dass die weißen Menschen Kinder rauben, dass sie bereits einige gefangen und sie mitgenommen hätten, als sie in der Vergangenheit den Mapulaú-Fluss hinaufgegangen waren. Deshalb hatte ich auch solche Angst: Ich war mir sicher, dass sie mich auch mitnehmen würden. Meine Großeltern hatten Geschichten dieser Art schon häufig erzählt. Wenn diese Fremden in unser Haus kamen, versteckte mich meine Mutter unter einem großen Korb im hinteren Teil unseres Hauses und sagte: „Hab keine Angst! Sag kein Wort!“ Und ich blieb dort, zitterte in meinem Korb und sagte nichts. Ich erinnere mich zwar daran, aber ich muss damals sehr klein gewesen sein, sonst hätte ich nicht in diesen Korb gepasst! Meine Mutter versteckte mich, weil auch sie Angst hatte, die Weißen würden mich mitnehmen, so wie sie auch die anderen Kinder schon einmal gestohlen hatten.

Später wurde ich älter und dachte sehr klar. Dennoch fragte ich mich weiterhin „Was tun diese weißen Menschen hier? Warum bauen sie Straßen in unseren Wald? “ Die Älteren antworteten „Ohne Zweifel, sie besuchen unser Land, um dort später selbst einmal mit uns zusammen zu leben! “ Sie verstanden die Sprache der Weißen nicht. Aus diesem Grund ließen sie sie so freundlich eintreten. Hätten sie ihre Worte verstanden, hätten sie sie umgehend vertrieben, denke ich. Diese weißen Menschen lockten die Yanomami mit ihren Geschenken. Sie gaben ihnen Äxte, Macheten, Messer, Kleider. Um Zweifel auszuräumen, sagen sie: „Wir, die Weißen, werden dir niemals Dinge vorenthalten. Wir werden dir viele von unseren Sachen geben und du wirst unser Freund werden!“ Aber kurz danach starben fast alle unserer Verwandten an einer Infektionskrankheit und einer darauffolgenden Epidemie. Später starben wieder viele Yanomami, als die Schnellstraße in den Wald kam und noch viele mehr, als die Garimpeiros (Goldgräber) eintrafen und Malaria brachten. Aber dieses Mal war ich bereits erwachsen und dachte ganz klar: „Ich weiß, was die Weißen wirklich wollen, wenn sie unser Land betreten.“

Im Land der weißen Menschen

Als ich Europa, das Land der Weißen sah, war ich verwirrt. Manche Städte sind schön, aber der Lärm hört nie auf. Die Menschen bewegen sich mit Autos, bewegen sich sogar auf den Straßen fort und sogar mit Zügen unter der Erde. Es gibt viel Lärm und es gibt überall Menschen. Der Verstand wird dadurch düster und vernebelt, man kann nicht mehr klar denken. Deshalb sind die Gedanken der Weißen voller Schwindelgefühl und sie verstehen unsere Worte nicht. Alles, was sie sagen, ist: „Wir sind sehr glücklich zu rollen und zu fliegen! Lass uns weitermachen! Lasst uns nach Öl, Gold und Eisen Ausschau halten!“ Die Gedanken dieser Weißen sind blockiert, deshalb misshandeln sie das Land, holzen es ab und graben sogar unter ihren eigenen Häusern. Sie denken nicht daran, dass es eines Tages zusammenbrechen könnte.

Wir, wir wollen, dass der Wald immer so bleibt, wie er ist. Wir wollen gesund in ihm leben, und wir wollen, dass die Xapïripë [schamanischen] Geister, die Wildtiere und die Fische weiterhin darin leben. Wir pflanzen nur Pflanzen, von denen wir uns auch ernähren, wir wollen keine Fabriken, keine Löcher im Boden oder schmutzige Flüsse. Wir wollen, dass der Wald ruhig bleibt, der Himmel klar bleibt, die Abenddunkelheit wirklich alles verdunkelt, sodass die Sterne zu sehen sind. Die Länder der Weißen sind verschmutzt, sie sind von einer Rauch-Epidemie bedeckt, die sehr weit in den Himmel reicht. Dieser Rauch kommt häufig auf uns zu, hat uns aber noch nicht erreicht, weil der himmlische Geist Hutukarara es immer noch unaufhörlich verhindert. Über unserem Wald ist der Himmel noch klar, denn die Weißen sind uns noch nicht zu nah gekommen. Aber später, wenn ich tot bin, wird dieser Rauch vielleicht so dicht werden, dass er Dunkelheit über die Erde verbreitet und die Sonne auslischt. Die Weißen denken nie an diese Dinge, die die Schamanen kennen, deshalb haben sie keine Angst. Ihr Denken ist von Vergessenheit erfüllt.

Träume von den Ursprüngen

Die Xapiripë [schamanischen] Geister haben seit frühester Zeit für die Schamanen getanzt und tun dies auch jetzt noch. Sie sehen aus wie Menschen, sind aber so winzig wie Partikel aus glänzendem Staub. Um sie zu sehen, muss man des Öfteren das Pulver des Yãkõanahi-Baumes einatmen.


Die Xapiripë tanzen zusammen auf großen Spiegeln, die vom Himmel herabkommen. Sie sind niemals so grau wie die Menschen. Sie sind immer prächtig: Ihre Körper sind mit Urucum [Annatto-Farbe] bemalt und mit schwarzen Zeichnungen verziert, ihre Köpfe sind mit weißen Federn des Königgeiers bedeckt, ihre Armbänder sind aus Papageien-, Cujubim- und roten Ara-Federn, ihre Taillen sind mit Tukan-Schwänzen umwickelt.

Tausende von ihnen kommen, um zusammen zu tanzen, winken mit jungen Palmen, es ertönen Freudenschreie und es wird unaufhörlich gesungen. Ihr Weg sieht aus wie ein Spinnennetz, das wie Mondlicht funkelt, und ihre Federverzierungen bewegen sich langsam im Tempo ihrer Schritte. Es ist eine Freude zu sehen, wie schön sie sind!


Die Geister sind so zahlreich, weil sie die Waldtiere darstellen. Alles im Wald wird durch Utupë [Doppelgänger eines jeden Menschen, welcher in einer bildähnlichen Erscheinung auftaucht] dargestellt: jene, die auf dem Boden gehen, jene, die in den Bäumen klettern, jene, die Flügel haben, jene, die im Wasser leben. Es sind diese Erscheinungen, die die Schamanen rufen und erschaffen, um zu Xapiripë-Geistern zu werden.

Diese Erscheinungen sind das wahre Zentrum, das wahre Innere der Waldwesen. Gewöhnliche Menschen können sie nicht sehen, nur die Schamanen. Aber sie sind keine Bilder von den Tieren, die wir heute kennen. Sie sind die Bilder der Väter dieser Tiere, sie sind die Bilder unserer Vorfahren. Zuvor, als der Wald noch jung war, waren unsere Vorfahren Menschen mit den Namen von Tieren, schließlich wurden sie zu Beute. Sie sind jene, die wir mit Pfeilen töten und heute essen. Aber ihre Existenz ist nicht verschwunden und sie sind es, die für uns als Xapiripë-Geister tanzen.

Weiße Menschen malen und schreiben ihre Worte auf, weil ihre Gedanken voll Vergessenheit sind. Wir haben die Bilder unserer Vorfahren lange Zeit in uns behalten und geben sie weiterhin an unsere Kinder weiter. Die Kinder, die nichts über die Geister wissen, hören die Gesänge der Schamanen und wollen dann ebenso selbst die Geister sehen. So erklingen die Worte der Xapiripë, obwohl sie sehr alt sind, immer wieder neu. Sie sind es, die unsere Erinnerungen hervorrufen. Sie sind es die uns weit entfernte Dinge, die Dinge der Ältesten, sehen und erkennen lassen. Es ist diese Art des Studiums, das uns lehrt, zu träumen. Gedanken sind es, die uns dazu bringen, weit entfernte Dinge zu sehen und zu erkennen. Durch unser Studium lernen wir zu träumen.

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