West-Papua: Die Indigenen, die von der Welt vergessen wurden
Mehr als 300 verschiedene indigene Völker werden in West-Papua seit 1963 von der Regierung in Jakarta brutal unterdrückt.
Im Dezember 2018 erreichten Survival International beunruhigende Neuigkeiten aus der Nduga-Region in West-Papua. Kirchenverteter berichteten, dass Gemeindemitglieder aus 34 Kirchen im Hochland von Papua als vermisst gälten. Eine brutale Militäroperation der indonesischen Armee habe unschuldige Männer, Frauen und Kinder gezwungen aus Angst um ihr Leben aus ihren Dörfern zu fliehen, um tief im Wald Unterschlupf zu finden.
Kurz vor Weihnachten kam es zu einer überraschenden und alamierenden Wendung. Survival erhielt aufwühlende Fotos, die entstellte Leichen, schreckliche Wunden und Verbrennungen und merkwürdige Kanister zeigten, über die die Menschen sagten, sie seien über ihren Dörfern abgeworfen worden. Eine australische Zeitung berichtete, dass die mysteriösen Kanister vermutlich weißes Phosphor enthielten, eine entzündliche chemische Waffe, die „durch die Haut und das Fleisch bis zum Knochen brennt.“
Das Abwerfen von entzündlichen Waffen aus der Luft auf die Zivilbevölkerung ist laut Protokoll III des Übereinkommens über Bestimmte Konventionelle Waffen untersagt. Die indonesische Regierung hat kategorisch die Verwendung von weißem Phosphor abgestritten. Das Außenministerium erklärte auf Twitter, dass die Anschuldigungen „vollkommen haltlos, nicht auf Fakten basierend und massiv irreführend“ seien.
Militäroperationen sind in West-Papua häufig. Armee und Polizei können dort in aller Regel mit Straffreiheit töten und foltern. West-Papua ist der westliche Teil der Insel Neuguinea, kolonialisiert und regiert von Indonesien und von dem unabhängigen Nachbarland Papua-Neuguinea zu unterscheiden. Die indigenen Papua haben unter der Herrschaft Indonesiens viel Leid und Unterdrückung erleiden müssen, seitdem 1963 Indonesien die Kontrolle übernahm. Die indigenen Völker Papuas sind Melanesier: ethnisch, kulturell und linguistisch unterschiedlich zu den malaiischen Indonesiern, die sie von Jakarta aus regieren. Die Regierung unterdrückt politischen Dissens und versucht die Papua zu „indonesieren“, was nicht nur Leben, sondern auch die erstaunliche Kultur und linguistische Vielfalt der mehr als 300 unterschiedlichen indigenen Völker zerstört.
Die indigenen Völker des Hochlands leben vom Wanderfeldbau und der Jagd; sie halten auch Schweine. Bei Militärangriffen trauen sie sich oft nicht in ihre Gemüsegärten oder auf die Jagd. Nach unabhängigen Recherchen der papuanischen Kirchen sind während einer ähnlichen Militäroperation im Jahr 1998 in nur drei Dörfern mindestens 111 Menschen an Hunger und Krankheit gestorben. Frauen und Mädchen, darunter auch ein 3-jähriges Kleinkind, wurden Ziel von systematischen Vergewaltigungen und Opfer von Gruppenvergewaltigungen.
Bei den Angriffen vom Dezember 2018 waren Soldaten auf der Suche nach Milizen der nationalen Befreiungsarmee West-Papuas (TPNPB), einer bewaffnete Gruppe die für die Unabhängigkeit West-Papuas von Indonesien kämpft. Die Milizen hatten im Dezember geschätzte 19 Straßenbauarbeiter getötet, die sie für indonesische Soldaten gehalten hatten. In solchen Fällen, in denen indonesische Militäroperationen versuchen Straftäter zu finden, werden oft überproportional viele unschuldige Zivilist*innen terrorisiert, misshandelt und getötet. Auch diejenigen, die der Armee entkommen, sind nicht sicher. Schwache Dorfbewohner*innen, vor allem die sehr alten oder sehr jungen, sterben an Belastung und Hunger während sie sich im Wald verstecken.
Trotz der schrecklichen Beweise, die Betroffene vorbringen, und der entsetzlichen Geschichte indonesischer Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, war es bisher noch nicht möglich, den mutmaßlichen Gebrauch von Chemiewaffen unabhängig zu verifizieren. Internationale Journalist*innen, humanitäre Organisationen und Menschenrechtsbeobachter*innen wurde der freie Zugang zu West-Papua verweigert. Survival International und andere Organisationen fordern, dass die brutalen und willkürlichen Militäroperationen in der Nduga-Region gestoppt werden und unabhängige Ermittler*innen, darunter internationale Waffeninspekteur*innen, in dem Gebiet zugelassen werden, um den mutmaßlichen Gebrauch von weißem Phosphor und andere Misshandlungen an der Zivilgesellschaft zu untersuchen.
Neben den militärischen Operationen im Hochland unterdrücken die indonesischen Sicherheitskräfte auch friedlichen politischen Dissens. Am 1. Dezember 2018, den viele als „Unabhängigkeitstag Papuas“ feiern, wurden mehr als 500 friedlich Protestierende in verschiedenen Städten Indonesiens verhaftet. Am 31. Dezember stoppten die indonesische Polizei und das Militär gewaltsam ein Treffen des nationalen Kommitees von West-Papua (Komite Nasional Papua Barat–KNPB), einer friedlichen papuanischen Organisation, die sich für ein Referendum über die Unabhängigkeit West-Papuas ausspricht. Mehr als 100 Polizisten und Soldaten stürmten und zerstörten das Büro des KNPBs. Neun Mitglieder des KNPBs wurden verhaftet und geschlagen; drei wurden inhaftiert und wegen Hochverrats angeklagt.
West-Papuaner*innen haben das, was ihnen angetan wird, als „stillen Genozid“ beschrieben. Diese Unsichtbarkeit hängt stark mit den Restriktionen für Journalist*innen und der Repression von friedlichen Organisationen zusammen. Die Misshandlung der Völker Papuas durch die indonesische Regierung ist eine der schlimmsten Gräueltaten unserer heutigen Zeit. Stimmen aus Papua müssen gehört werden. Papuaner*innen, die mutig genug sind auszusagen, müssen geschützt werden und die internationale Gemeinschaft muss die Menschenrechtsverletzungen, die dort verübt werden, aufdecken und stoppen.