Konferenz prangert gewaltsames und koloniales Naturschutzmodell der Bundesregierung an

5 Mai 2022

Teilnehmende an der Konferenz „Keine Biodiversität ohne menschliche Vielfalt“ hören Expert*innen und indigenen Stimmen zu, die über von Deutschland unterstützte Naturschutzprojekte im Globalen Süden berichten. © Survival

Teilnehmende an der Konferenz „Keine Biodiversität ohne menschliche Vielfalt“ hören Expert*innen und indigenen Stimmen zu, die über von Deutschland unterstützte Naturschutzprojekte im Globalen Süden berichten. © Survival

Expert*innen prangern die deutsche Regierung für ihre Naturschutzpolitik in Afrika an, die zu schweren Menschenrechtsverletzungen führt. Sie legten vergangene Woche bei einer Konferenz detailliert dar, wie deutsche Gelder in Millionenhöhe über Jahrzehnte im Namen des Naturschutzes für Vertreibungen, Vergewaltigungen und Mord verwendet wurden.

Die deutsche Regierung und ihre Partnerorganisationen halten trotz einer Vielzahl von Berichten (z.B. Buzzfeed News) über Menschenrechtsverletzungen in Naturschutzprojekten mit deutscher Beteiligung an einem gewaltsamen und kolonialen Modell fest. Dies belegt die im Koalitionsvertrag festgeschriebene Unterstützung des Plans, 30% der Erde bis 2030 in Naturschutzgebiete umzuwandeln, der zu einem beispiellosen Landraub an indigenen und lokalen Gemeinschaften führen würde.

Yannick Ndoinyo, Aktivist für die Landrechte der Maasai, spricht bei der Konferenz in Berlin zur Dekolonisierung von Naturschutz. © Survival

Exemplarisch für das von Deutschland unterstütze Naturschutzmodel wurde während der Konferenz „Keine Biodiversität ohne menschliche Vielfalt“ der Nationalpark Lobeke in Kamerun, Naturschutzgebiete in Tansania und der Kahuzi-Biega-Nationalpark in der Demokratischen Republik Kongo besprochen. Ein Bericht der Minority Rights Group hatte erst vor wenigen Wochen für den Kahuzi-Biega-Nationalpark detailliert nachgewiesen, dass Deutschland Verantwortung für die „Säuberung“ indigener Völker trägt.

Colin Luoma, der an den Recherchen beteiligt war, fasste die zentrale Rolle der deutschen Regierungsbehörden zusammen: „Manche sagen, dass es den Kahuzi-Biega-Nationalpark ohne deutsche Unterstützung nicht geben würde. Seit 40 Jahren fördert die deutsche Regierung ein Projekt, das nicht die freie, vorherige und informierte Zustimmung der betroffenen Menschen besitzt. … Deutschland hat die militärische Ausbildung dieser Parkwächter*innen finanziert, die mit schweren Maschinengewehren herumlaufen. Sie haben dies mit öffentlichen Geldern finanziert. Sie haben die paramilitärische Ausbildung unter eklatanter Verletzung internationalen Rechts unterstützt. Die Akteure der deutschen Entwicklungszusammenarbeit hatten zweifellos Kenntnis von den Menschenrechtsverletzungen im Park.“

Die deutsche Förderbank KfW trägt derzeit zur Finanzierung von fast 740 Schutzgebieten mit einer Gesamtfläche von rund 1,8 Millionen km2 bei. Das ist mehr als die Fläche von Deutschland, Frankreich, Polen und Schweden zusammen.

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Eine Mitarbeiterin der deutschen Entwicklungsbehörde Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die für die Bundesregierung an der Umsetzung von Naturschutzprojekten beteiligt ist, äußerte sich aus dem Publikum und verwies darauf, dass jedes Land für sich selbst zuständig sei.

Zudem sagte sie: „Wenn man hier lebt in Berlin, braucht man nur in die Schorfheide zu gehen, das ist auch ein Schutzgebiet – das ist ein Biosphärenreservat. Und ich kenne keinen Fall, dass in der Schorfheide Leute umgesiedelt wurden wegen dem Schutzgedanken.“

Darüber hinaus sagte sie: „Es geht nicht um den Naturschutz an sich, sondern es geht immer um den Naturschutz als Teil der Entwicklung.“

Fiore Longo, Leiterin der Naturschutzkampagne von Survival International, antwortete: „In Naturschutzgebieten in Europa, in denen weiße Menschen leben, wird niemand vertrieben. In Naturschutzgebieten außerhalb Europas – wenn die Menschen schwarz sind – werden die Menschen vertrieben. … Die Dinge, über die wir hier sprechen, würden in keinem anderen Bereich, in dem die deutsche Regierung tätig ist, toleriert werden.“

Auch Yannick Ndoinyo, Aktivist für die Landrechte der Maasai, aus Tansania bezog Stellung: „Die Situation ist sehr schlimm: Es gibt Verstöße und Missbräuche. Das muss aufhören. … Gehen Sie vor Ort, hören Sie den Menschen zu, hören Sie auf das, was sie sagen. Sie verlieren ihr Land wegen des Naturschutzes. … Business as usual funktioniert nicht. Gehen Sie zu den Menschen, sprechen Sie mit ihnen, dann werden Sie den Status quo ändern können. Was geschieht, ist völlig inakzeptabel.“

Fiore Longo appelierte an die Öffentlichkeit: „Als Steuerzahlende müssen wir sicherstellen, dass unser Geld nicht dazu verwendet wird, Häuser niederzubrennen, Frauen gruppenweise zu vergewaltigen und unschuldige Menschen zu töten. Der öffentliche Druck ist die entscheidende Kraft für Veränderungen. Wir müssen unsere Selbstverständlichkeiten in Frage stellen und die kolonialen Bilder, die wir übernommen haben, zerstören. Wir brauchen ein völlig neues Naturschutzmodell, bei dem indigene Völker und ihre Rechte im Mittelpunkt stehen.“

Hinweise an die Redaktion:

- Die Konferenz “Keine Biodiversität ohne menschliche Vielfalt” wurde von Survival International veranstaltet und fand am 28. April 2022 in Berlin statt. Der Mitschnitt des Events ist auf Deutsch und Englisch bei YouTube abrufbar.

- Für weiteres Bildmaterial der Veranstaltung und Hintergrundinformationen wenden Sie sich bitte an [email protected]

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