UN-Vorhaben, 30% der Erde in Schutzgebiete umzuwandeln, könnte Hunderte Millionen Menschen vertreiben, warnen NGOs und Expert*innen

3 September 2020

Diese Khadia-Männer wurden von ihrem Land vertrieben, nachdem es zu einem Tigerreservat erklärt wurde. Sie lebten monatelang unter Plastikplanen. Millionen weiteren Menschen droht dieses Schicksal, wenn der 30%-Plan umgesetzt wird. © Survival International

Diese Seite wurde 2020 erstellt und enthält möglicherweise Formulierungen, die wir heute nicht mehr verwenden würden.

128 Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen sowie zahlreiche Expert*innen warnen, dass ein Vorschlag der Vereinten Nationen zur Ausweitung von Naturschutzgebieten zu schweren Menschenrechtsverletzungen führen könnte. Der Vorschlag könnte einigen der ärmsten Menschen der Welt umumkehrbaren Schaden zufügen. 1

Auf dem nächsten Gipfeltreffen der Biodiversitätskonvention (CBD) im Mai 2021 könnten Staats- und Regierungschefs beschließen, 30% der Erde bis zum Jahre 2030 als Naturschutzgebiete auszuweisen. 2 Dieses „30 x 30“-Ziel würde eine Verdoppelung der derzeit geschützten Landfläche innerhalb eines Jahrzehnts bedeuten. 3

Allerdings wächst die Sorge über die Wirksamkeit der Maßnahme sowie über die menschlichen Kosten.

Naturschutz in Regionen wie dem afrikanischen Kongobecken und Südasien hat sich in den letzten Jahren zunehmend militarisiert. Kürzlich veröffentlichte Studien haben deutlich gemacht, dass indigene und lokale Gemeinden weiterhin gewaltsam vertrieben und enteignet werden, um Platz für „Schutzgebiete“ zu schaffen. Sie sind schweren Menschenrechtsverletzungen durch bewaffnete Anti-Wilderei-Einheiten ausgesetzt. 4

In einem Brief an das CBD-Sekretariat warnen die NGOs und Expert*innen davor, dass bis zu 300 Millionen Menschen betroffen sein könnten, wenn die Rechte indigener Völker, traditioneller Landbesitzer*innen und lokaler Umwelthüter*innen nicht wesentlich besser geschützt werden. 5

Umweltschutzorganisationen haben auch dargelegt, dass der „Festungsnaturschutz”, der im Globalen Südens allgegenwärtig ist, den rapiden Verlust biologischer Vielfalt nicht verhindern kann. Darüber hinaus verweisen sie auf die Tatsache, dass eine starre und rücksichtslose Durchsetzung der Maßnahmen die Menschen vor Ort gegen den Naturschutz aufbringen und somit die Umweltzerstörung sogar beschleunigen kann. 6

Sie argumentieren weiter, dass jeder weiteren Ausweitung der Schutzgebiete eine unabhängige Überprüfung der Wirksamkeit und der sozialen Folgen bestehender Schutzgebiete vorangestellt werden muss.

Stephen Corry von Survival International sagte dazu: „Die Forderung, 30% der Erde zu ‘Naturschutzgebieten’ zu machen, ist in Wirklichkeit eine gigantische Landnahme, vergleichbar mit der europäischen Kolonialisierung. Sie wird ebenfalls viel Leid und Tod mit sich bringen. Wir sollten uns nicht von dem Rummel der Naturschutz-NGOs und ihrer staatlichen Geldgeber täuschen lassen. Das alles hat nichts mit dem Klimawandel, dem Schutz der Artenvielfalt oder der Vermeidung von Pandemien zu tun – der Vorschlag verschlimmert diese Probleme eher. Es geht hierbei wirklich nur um Geld, um die Kontrolle von Land und Ressourcen und um einen Angriff auf die menschliche Vielfalt. Diese geplante Enteignung von Hunderten von Millionen Menschen riskiert die Auslöschung der menschlichen Vielfalt und der Möglichkeit zur Selbstversorgung – die eigentlichen Voraussetzungen dafür, dass wir in der Lage sind, den Klimawandel zu bremsen und die biologische Vielfalt zu schützen.“

Joshua Castellino von der Minority Rights Group fügte hinzu: „Es sind sofortige Maßnahmen erforderlich, um das bevorstehende Überschreiten der planetarischen Belastungsgrenzen aufzuhalten. Dazu ist es notwendig, die Verantwortlichen für die anhaltende Zerstörung des Planeten zur Rechenschaft zu ziehen und diejenigen ans Ruder zu lassen, die für seinen Erhalt sorgen. Indigene Völker den Preis zahlen zu lassen für die Zerstörung, die auf übermäßigem Konsum basiert, der dem Profit der Eliten dient, macht nicht nur die Tyrannei gegenüber den Enteigneten deutlich. Es konkretisiert auch die Vorrangigkeit des Profitstrebens gegenüber dem Leben von Menschen und die Privilegierung westlicher ‘Wissenschaften’ gegenüber traditionellen Wissenssystem – die, auf dem Weg in die heutige aussichtslose Situation, unterdrückt, beherrscht und fast zerstört wurden.“

Anmerkungen für die Redaktion:

1 Bedenken zivilgesellschaftlicher Organisationen zum Vorschlag eines 30-Prozent-Ziels für Schutzgebiete und das Fehlen von Schutzklauseln für indigene Völker und lokale Gemeinschaften

2 Das 30%-Ziel ist in einem Entwurf mit der Bezeichnung „Post-2020 Global Biodiversity Framework" enthalten, der derzeit von den Staaten, die die Biodiversitätskonvention (CBD) unterzeichnet haben, verhandelt wird. Siehe hier für das vollständige Dokument.

3 Die CBD, die 1992 angenommen wurde, gilt als das Schlüsseldokument für nachhaltige Entwicklung und bildet den übergreifenden internationalen politischen Rahmen für den Naturschutz. Die 196 Vertragsparteien der CBD wollen im Mai 2021 globale Rahmenbedingungen für den Erhalt der biologischen Vielfalt nach 2020 verabschieden. Die Agenda beinhaltet das Ziel, bis 2030 mindestens 30 Prozent aller Land- und Meeresflächen zu schützen, was nahezu einer Verdoppelung des derzeitigen Ziels von 17 Prozent entspricht (Aichi-Ziel 11).

4 Zum Beispiel: Buzzfeed – Die Bundesregierung hat offenbar schwere Menschenrechtsverbrechen über Jahre mitfinanziert" und Mapping for Rights

5 Auf der Basis eines in der Nature veröffentlichten Artikels, in dem die Gebiete analysiert wurden, die am ehesten als Schutzgebiete ausgewiesen werden, wird geschätzt, dass durch das neue Ziel bis zu 300 Millionen Menschen vertrieben oder enteignet werden könnten. Siehe: Schleicher, J., J., Zaehringer, J.G., Fastré, C. u.a. Protecting half of the planet could directly affect over one billion people Nat Sustain 2, 1094-1096 (2019).

6 Siehe z.B. die von der Gemeinde verwalteten Wälder im Kongobecken, die durch die Landnahme im Namen des Naturschutz bedroht sein könnten: 300 million at risk from CBD drive.

Falls andere Organisationen oder Einzelpersonen die gemeinsame Erklärung unterzeichnen möchten, wenden Sie sich bitte an Fiore Longo: [email protected].

Über die Organisationen:

Die Minority Rights Group International ist die wichtigste internationale Menschenrechtsorganisation, die sich für die Sicherung der Rechte von ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten und indigenen Völkern einsetzt. MRG arbeitet mit mehr als 150 Partnern in über 50 Ländern zusammen.

Survival International ist die globale Bewegung für indigene Völker.

Presseanfragen

Minority Rights Group International
Samrawit Gougsa, MRG Press Office (London, UK).
M: +44 (0)790 364 5640 / [email protected], Twitter: @SamGougsa / @MinorityRights

Survival International
Niklas Ennen
Tel: +49 (0)30 72293108
[email protected]

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